Kein Mensch darf gegen seinen Willen behandelt werden: Das leitet sich aus Art. 2 des Grundgesetzes mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit ab. Wird dagegen verstoßen, stellt dies bspw. den Straftatbestand der Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB) dar.
Damit ein Patient überhaupt entscheiden kann, muss er über die Alternativen und die Risiken einer Maßnahme (Diagnostik; Therapie etc.) aufgeklärt sein. Stimmt er dann der Maßnahme zu, nennt man das "aufgeklärtes Einverständnis" ("informed consent"). Dies ist die erste Säule, damit überhaupt eine Behandlung zustande kommen kann.
Ob eine medizinische Behandlung für einen bestimmten Patienten in Frage kommt, ist von diesem Willen des Patienten getrennt zu betrachten: Denn für jede ärztliche Maßnahme bedarf es zusätzlich zum Willen der sogenannten Indikation: dies ist die zweite Säule. Dieser Begriff ist hoch komplex. Deswegen wird er im Folgenden versucht zu erklären.
Nur wenn beide Säulen stehen, darf und kann eine Behandlung durchgeführt werden. Oder anders ausgedrückt: Fällt eine Säule weg, weil ein Patient die Zustimmung verweigert oder es keine Indikation gibt, dann gibt es auch keine Behandlung.
Analog dem 2-Säulen-Modell von Indikation und Wille kann auch die Indikation selbst in 2 Säulen aufgeteilt werden: eine professionsorientierte und eine individualorientierte Säule. Hier wird nun die Komplexität der Indikation sichtbar, da sich diese immer auf ein einzelnes Individuum bezieht und deren Vorstellungen einbeziehen muss.
Die Indikation beruht auf einem aktiven Entscheidungsvorgang und lässt sich definieren als die Beurteilung eines Arztes, dass eine konkrete medizinische Maßnahme angezeigt (indicare = anzeigen) ist, um ein bestimmtes Behandlungsziel bei einem bestimmten Patienten zu erreichen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die medizinische Indikation nicht im Sinne eines Algorithmus zu verstehen ist, weil sie zwangsläufig auf eine Verbindung wissenschaftlicher Fakten mit lebensweltlichen Aspekten des Patienten in seinem soziokulturellen Bezug angewiesen ist. Sie ist somit nicht weniger als das Resultat eines individuellen ärztlichen Abwägungsprozesses [nach definierten Regeln], bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt. Sie ist das Resultat eines Beurteilungs- und Entscheidungsprozesses, der nicht willkürlich und rein singulär erfolgen kann.
Abbildung: Das 2-Säulen-Modell der Indikation
Zur Ergänzung haben wir hier noch weitere Erläuterungen eingefügt.
Der Teil der Indikationsstellung, „der aus objektiv-fachlicher Sicht gewährleistet, dass eine diagnostische oder therapeutische Maßnahme sinnvoll und lege artis angeboten werden kann“ (Neitzke, 2008)
Personalisierte und individualisierte medizinische Indikation, „abgestimmt auf die psychische und soziale Verfassung eines Kranken, auch auf seine Vorerfahrungen und religiösen Überzeugungen.“ (Raspe, 1995)