Neues Produkt wurde in den Warenkorb gelegt

Suizidprävention

bei Palliativpatienten

Was bedeutet die Äußerung eines Sterbewunsches für uns palliativ/hospizlich Handelnde? Die Forschungen zur Suizidprophylaxe belegen, die Äußerung eines Sterbewunsches als Appell ernst zu nehmen. Gelebte Suizidprophylaxe bedeutet für den Betroffenen immer ein Gehört- und Gesehenwerden. Der Auftrag an die Handelnden lautet somit eindeutig, Suizidwünsche wahrzunehmen und besprechbar zu machen, um in einem ergebnisoffenen Gespräch den richtigen Weg zu finden. Hierzu gehört für die Sterbewilligen laut BVG auch das Wissen um Alternativen zum Suizid. Diese Gespräche können entweder in das sogenannte „Grüne Licht für den Suizid“ münden, in die Ablehnung der Begleitung durch die Sterbehilfeorganisation – oder aber auch in einen Verzicht auf den Suizid.
Die mit 10.000 Suiziden/Jahr hohe Anzahl und hierbei insbesondere der überproportionale Anteil älterer Menschen ist ein weiterer Appell – diesmal an uns als Gesamtgesellschaft. Der erlebte Verlust der Selbstbestimmung bei Krankheit, Hilfs- oder gar Pflegebedürftigkeit führt dann schnell zur Einschätzung der Unerträglichkeit solcher Lebenssituationen. Hinzu kommt Fragen zum eigenen Nutzen und Sinn, zu nichts mehr gebraucht zu werden und gar zur Last zu fallen.

Abbildung: Appell einer ALS-Patientin an den Palliativmediziner Dr. Eichner (2011)


Ergebnisoffene, wiederholte und qualifizierte Gesprächsangebote über Sterbewünsche

Das ergebnisoffene, wiederholte und qualifizierte Gesprächsangebot auch über Sterbewünsche an Menschen in kritischen Lebenssituationen ist grundlegender Bestandteil der Hospiz- und Palliativversorgung. (DGP, 14.05.2024). 

Entsprechend trägt diese wesentlich zur Suizidprävention und auch zur Prävention des assistierten Suizids bei Menschen mit fortschreitenden Erkrankungen bei.

Suizidprävention oder Handlungsauftrag?

Im Rahmen der SAPV werden lebensbegrenzend erkrankte Menschen mit Sterbe- und Todeswünschen begleitet. Diese sind nur eine Zielgruppe der absolut und dringend erforderlichen nationalen und flächendeckenden Suizidprävention. Todes- und Suizidwünschen muss adäquat begegnet werden.

Todeswünsche können sich dabei sehr unterschiedlich äußern und reichen von der Akzeptanz des Todes im Sinne von Lebenssattheit, dem Hoffen auf baldigen Beginn des Sterbeprozesses mit oder ohne Wunsch nach Beschleunigung bis hin zur akuten (bewusst geplanten) Suizidalität mit einem zunehmenden Handlungsdruck, je drängender und akuter der Wunsch nach selbst herbeigeführtem Sterben ist [Leitlinie Palliativmedizin].

Die Äußerung von Todes- und Suizidwünschen ist weniger als Handlungsauftrag zu sehen, sondern eher als Symptom einer inneren Not. Essenziell ist es, diese Not zu verstehen und die Gründe für den Todeswunsch und die dahinter stehende Psychodynamik zu ergründen. Denn i. d. R. drücken die Betroffenen nicht aus, dass sie grundsätzlich nicht mehr leben wollen, sondern dass sie ihr Leben, so wie sie es erleben, nicht mehr leben wollen oder können.

Dabei bedeutet der respektvolle Umgang mit Todes- und Suizidwünschen nicht automatisch ein Einverständnis mit den Wünschen. 
Es geht nicht darum, den Patientinnen den Suizidwunsch auszureden, sondern vielmehr ergebnisoffen andere Optionen und Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen, um die Einengung, in der der Suizid die einzige Möglichkeit für einen Ausweg darstellt, wieder zu öffnen.

Häufig besteht die Annahme, dass Patientinnen Fragen des Lebensendes und Todeswünsche von sich aus ansprechen, und es besteht Sorge vor möglichen Nebenwirkungen, wenn sie diese Themen ansprechen. Aus der Suizidforschung ist aber bekannt, dass das Ansprechen von suizidalen Gedanken für viele Betroffene eine Erleichterung ist und nicht zu deren Entstehung oder einer Steigerung der Suizidalität führt.

Abklärung der bestehenden Suizidalität zum Ausschluß von nicht frei verantworteten Suiziden

In einem von Offenheit, Interesse und Respekt geprägten Gespräch werden bei uns Gedanken, Erfahrungen und (mögliche) Aktivitäten um Todes- und Suizidwünsche eruiert und dem Betroffenen Raum gegeben werden, die eigene Not artikulieren zu dürfen. Die zu berücksichtigenden Aspekte während des Gesprächsprozesses bei Todes- und Suizidwünschen sind der Tabelle zu entnehmen. 

Auslöser des Todeswunsches (aktuelle Gründe, die ein/eine Patientin mitteilt)
Ursachen des Todeswunsches (Hintergründe und Bedingungen, u. U. auch aus der länger zurückliegenden Vergangenheit)
Dauerhaftigkeit und ggf. Alternativlosigkeit des Todeswunsches
Vorliegen von Depression oder anderen schweren psychiatrischen Erkrankungen (ggf. unter Einbeziehung von Psycholog:innen oder Psychiater:innen)
Vorliegen körperlicher Symptome wie Schmerzen, Luftnot, Übelkeit, Erbrechen usw.
Psychische und spirituell-existenzielle Belastungen wie Ängste, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit, Aussichtslosigkeit, Demoralisation und Glaubensverlust
Soziale Belastungen (z.B. Isolation, das Gefühl, zur Last zu fallen, Pflegekosten)
Hinweise auf subjektiv empfundene Überlastung der Angehörigen (psychisch, moralisch, körperlich)
Finanzielle Aspekte (z.B. wirtschaftliche Belastung von Patientinnen und Angehörigen, Gefährdung des Erbes)
Handlungsdruck, abgestuft nach:
-    Lebenssattheit (Zufriedenheit mit dem Erlebten und Erreichten, den Tod erwartend),
-    Lebensmüdigkeit (Wunsch zu sterben ohne eigene Aktivität),
-    distanzierter Suizidalität (ohne akuten lebensbeendenden Handlungsdruck)
-    latenter Suizidalität (mit Handlungsdruck)
-    akuter Suizidalität (mit erheblichem Handlungsdruck)
Zu berücksichtigende Aspekte während des Gesprächsprozesses bei Todes- und Suizidwünschen